Filmkritik Notizen

"Rosetta" (Peripher Verleih)

Entstanden aus einem Seminar des Moduls Medien- und Filmwissenschaft, das der Verbindung von Filmpraxis und Filmkritik gewidmet war, werden in der Rubrik Filmkritik Notizen regelmäßig filmkritische Texte von Studierenden und Lehrenden der Filmakademie Wien veröffentlicht, die sich mit dem Schreiben über Film auseinandersetzen.

Die vorgestellten Texte widmen sich verschiedenen Formen des Schreibens, setzen sich mit klassischen und zeitgenössischen Positionen der Filmkritik auseinander und entwickeln einen eigenen Blick auf Filme und Texte. Den Anfang machen zwei schriftliche Arbeiten über das Arbeitsjournal von Luc Dardenne (von Markus Zizenbacher, Drehbuchstudent bei Götz Spielmann) und eine Rezension zu Stefanie Diekmanns Band Schreiben über Film. Hommage an Karsten Witte (von Kerstin Parth, Univ.Ass.in Medien- und Filmwissenschaft).

Ein Projekt des Fachbereichs Medien- und Filmwissenschaft
Projektleitung: Kerstin Parth

 

Jean-Pierre & Luc Dardenne (Polyfilm)

 

Das Labor der Brüder. Luc Dardennes Tagebücher 1991-2005
Essay von Markus Zizenbacher mit Übersetzungen aus dem Französischen des Autors

Luc Dardennes Tagebücher (Au dos de nos images. 1991-2005, Éditions Points, 2008) geben einen faszinierenden Einblick in das Laboratorium der Arbeit, die ihn mit seinem Bruder seit über 40 Jahren verbindet. Luc schreibt die Drehbücher, aber sein Bruder Jean-Pierre ist ständig anwesend. Am 30.6.1993 schreibt Luc:
Mein Bruder. Ich könnte diesen Film (La Promesse) nicht ohne ihn machen und er könnte ihn nicht ohne mich machen. Es ist eine gegenseitige Abhängigkeit, die keine  Ressentiments provoziert.

Am 28.11.1993:

Einen Film zu zweit machen? Mein Bruder und ich erfinden einen Film gemeinsam? Wie soll man das verstehen? Ohne Zweifel bin  ich noch zu jung um das zu verstehen.

Alle Filme der Brüder Dardenne, von den rund 60 Dokumentarfilmen bis zu ihrem letzten zehnten Spielfilm (La fille inconnue), sind in derselben Region rund um die belgischen Industriestädte Seraing und Lüttich (Liège) angesiedelt. 1975, als die Dardennes ihre Arbeit in eigener Produktion begannen, war Seraing von sehr hoher Arbeitslosigkeit betroffen. Bis 1974 war Seraing eine Industriestadt im klassischen Sinn: seit der industriellen Revolution eine Hochburg des Kohleabbaus. 1974 werden die neun Kohle-Fabriken eingestellt, tausende Menschen waren ohne Job. Die Dardennes begannen ihren Alltag zu dokumentieren. Die Schornsteine der verlassenen Fabriken prägen bis heute das Stadtbild und besonders das Décor ihrer Filme.

Die Dardenne Brüder – in ihrer originalen Konstellation: Jean-Pierre an der Kamera, Luc am Ton – bezogen ihr dokumentarisches Schaffen aus dem Umfeld der Arbeitslosen der Fabriken, der Streiks, Demonstrationen und der Hochzeit einer durchwobenen syndikalen Bewegung. Nach mehreren Jahren der Regieassistenz am Theater realisieren sie 1986 ihren ersten fiktionalen Film Falsch, die theatral-filmische Adaption der Geschichte von Joe Falsch, eines Juden, der 1938 Berlin verlassen hatte und am Flughafen seine in Konzentrationslagern umgebrachte Familie wiedertrifft. 1991 schreiben sie Je pense à vous, ihr erstes gemeinsames Werk als Autorenfilmer. Beide waren nicht sehr zufrieden. Zweifel machen sich breit.

Luc am 29.12.1991:

Sollen wir wirklich weiter Filmemachen wollen? Filme-machen? Wem nützt das? Der schlechte Film, den wir gerade fertig gedreht haben, sollte uns für immer von dieser Illusion, von dieser Prätention heilen.

Und tatsächlich ist der Film nicht sonderlich gut. Sie tappen in die Falle eines pathetischen Realismus, den sie eigentlich vermeiden wollten. Luc Dardennes retrospektiver Tagebucheintrag am 1.12.1992 lässt den Schock des „aventure malheureuse“ spüren:

Von Anbeginn war es ein Missverständnis. Wir wussten nicht, was wir wollten, wir haben aber im Glauben gehandelt es zu wissen. Nie mehr eine vergleichbare Erfahrung zulassen.

In den folgenden zwei Jahren arbeiten „les frères“ (die Brüder, wie sie von Bekannten genannt werden) am Drehbuch zu La Promesse, in dem sie die Fehler von Je pense à vous nicht mehr machen. In einer der ersten Sequenzen von La Promesse sehen wir die Autofahrt in einem VW-Bus, in welcher der 13-jährige Igor (Jérémie Renier), die Hauptfigur, und dessen Vater, verkörpert von Olivier Gourmet (beide Schauspieler kehren in beinahe allen weiteren Filmen der Dardennes wieder), entlang eines Industrieviertels von Seraing fahren. Auf den Rücksitzen befinden sich Flüchtlinge (Rumänen und eine afrikanische Frau mit Baby), die gerade illegal in Belgien gelandet sind und von Igors Vater Unterkunft und gefälschte Pässe zugeschoben bekommen. Igors Vater wendet sich zu Ihnen um und sagt „This is Belgique, c´est beau„, Igor setzt nach „Beacoup money„, während die Insassen regungslos ein stillgelegtes Industrie-Viertel im Vorbeifahren betrachten.

Die Szene suggeriert bereits viele Themen, die im weiteren Schaffen der Dardennes in Variationen wiederkehren werden: Die Beziehung Vater und Sohn; Mutter und Tochter; der verlorene Sohn (La promesse; Le Fils; Rosetta); (zwei) Figuren am Rand der Gesellschaft, die zu weit von konventionellen Lebensbedingungen abgerückt sind und damit immer die Umstände ex negativo infrage stellen (La Promesse; Rosatta; L´Enfant; Le silence de Lorna; La fille inconnue); die Hoffnung auf ein aufrechtes Leben und eine würdevolle Arbeit (Rosetta; Deux jours, une nuit); die Frage der moralisch „richtigen“ Handlung (Le gamin au vélo; Le Fils); das Individuum gegen die Welt; und immer wieder die post-industrielle Umgebung von Seraing/Lüttich und die Maas (La Meuse).

Mit La Promesse haben sie, wie es heißt, zu einer Form gefunden, die ihrer kinematographischen Vision entspricht: Ein ungeschönter Realismus (verstärkt durch die Handkamera), ein starkes, exakt strukturiertes Drehbuch, eine unaufgeregt ambivalente Figurenzeichnung und ein Ende, das die ZuseherInnen vor der Welt erschaudern lässt, ohne eine wärmende Perspektive auszulassen. Luc Dardennes Aufzeichnungen verweisen entlang des Pfads ihrer Arbeitsweise auf die Quellen der Inspiration, ihren Hader und Zweifel. Auch über den Schnittprozess erfahren wir einiges. Über den Schnitt von Rosetta (1999), bei dessen Dreh Unmengen an Material angehäuft wurden (ca.60 Stunden!, bei einem Budget von € 2 Mio.) schreibt Luc am 3.2.1999:

Die Montage von Rosetta ist schwierig. Wie sollen wir für dieses Porträt den Rhythmus finden? Der Rhythmus, der Atem, sie sind unsere kinematographische Form. Ich denke oft an den Rhythmus, den Schumann verwendet um bestimmte Momente/Stimmungen zu schaffen…“

Über die Art ihrer Arbeitsumstände:

Wir werden mit kleinen Budgets drehen müssen und Menschen, die uns nahe sind, mit Freunden. Wie Jean-Pierre schon gesagt hat: „Das ist ohne Zweifel unsere Wahrheit.“ Dieser ökonomische Zwang (diese Enge) ist für uns vielleicht eine Möglichkeit den „punch“ (spin/drive) zu finden, unser Verhältnis zum Realen, das mit dem Professionalismus einer großen Kino-Produktion nicht zusammengeht.

Während der Schreibphase zu La Promesse finden sich nur Einträge, die Luc zur Realitätsgebundenheit und Reduktion mahnen. Er zitiert Wittgensteins Worüber man nicht sprechen kann, soll man schweigen und (ver)wendet es für seinen Dialogstil:

Es liegt an uns ihnen (den Schauspielern) Worte zu geben, in denen das Unsagbare des Nicht-Sprechbaren hörbar wird.

In allen Filmen gehen die Sätze der Akteure kaum über zwei Zeilen hinaus. Ihre Figuren sind weniger durch ihre Sprache charakterisiert, als durch ihre Handlung und Physis, ihre Bewegung. Der Körper spricht, am deutlichsten in Rosetta: Émilie Dequenne windet sich wie ein verletztes Tier durch den gesamten Film, während dem Kameramann (Alain Marcoen) als formale Anweisung gesagt wurde, er möge Rosetta filmen, als wäre er in einem Kriegsgebiet. Diese reduzierten Mittel, geleitet von der Geschichte rund um die gefeuerte Fabrikarbeiterin Rosetta, machen den Film zu einem intensiven Erlebnis. Der Realismus ist atemraubend. Kleingeistig der Skandal in Cannes um die Prämierung von Émilie Dequenne zur besten Schauspielerin. Sie erhält den Preis als erste nicht professionelle Darstellerin.

Während des Schnittprozesses kommt die Entscheidung für eine neue Geschichte, Der unfassbar wandlungsfähige Olivier Gourmet wird die Hauptrolle spielen. Luc notiert am 13.2.1999:

Jeden Abend denke ich an Olivier Gourmet. Er besetzt meinen Geist (Il occupe mon esprit), als tragende Rolle von Eindrücken ohne Zusammenhang.

Am 22.3.1999 sind die Eingebungen schon konkret:

Nächstes Drehbuch: die Rache/das Verzeihen (le pardon). Ohne Rührseligkeit. Konfrontation des Moments von Verzeihung ohne ins Sentimentale zu entgleiten. Sich damit zu konfrontieren heißt nicht unbedingt bei der Verzeihung zu landen. (Es) schreibend und filmend beweisen. Manchmal sage ich mir „ja, das ist möglich“, dann hält mich etwas zurück und ich sage mir „nein, es ist unmöglich“.

Diese Gespaltenheit und der enorme Erfolg von Rosetta in Cannes haben eine Blockade als Konsequenz. Die Dardennes fürchten bei einer Geschichte über Rache und das Verzeihen wieder bei La Promesse gelandet zu sein.

Das Abenteuer Rosetta hat uns ausgesaugt. Ich fühle mich leer. Unmöglich mich zu konzentrieren.

Dann stößt Luc auf einen Artikel über einen Aspekt in Shakespeares Hamlet: Der Geist des toten Vaters, der Hamlet heimsucht und nicht von ihm lässt bis dessen Mord gerächt ist. Diese Situation nehmen die Brüder als Ausgangspunkt für Le Fils: Olivier (Gourmet) ist Tischlermeister und bekommt den auf Bewährung freigestellten 15-jährigen Francis, den Mörder von Oliviers Sohn, als Lehrbub zugewiesen. Francis weiß nicht, dass Olivier der Vater von Francis ist. Der Film beschreibt eine Versöhnung, wie Olivier über Schmerz und Rachsucht dem Mörder seines Kindes zu verzeihen lernt und ihn als Lehrbub akzeptiert.

Nach Monaten des Zweifelns, in denen Le Fils (lange heißt der Film L´Épreuve, die Bewährungsprobe) verworfen und wieder aufgenommen wird, schreibt Luc am 11.4.2000:

Schon mit La Promesse und auch Rosetta, aufs Neue mit dem neuen Drehbuch (Le Fils) sind wir wieder im Kreis, der Arena nach der Frage: Was macht das Menschen-Sein von heute aus? Betrachten, wie das Mensch-Sein, nicht verallgemeinert, sondern in konkreten Situationen und Extremen, welche die Gesellschaft hervorbrachte, bedeutet.

Am 11.3.2001 ist die achte Fassung zu Le Fils abgeschlossen. Luc notiert am 28.3.2001:

Der Film ist die Besetzung, ist der Schauspieler, ist Olivier Gourmet, ist der Puls des Enigmas, das in seinem Antlitz zum Vorschein kommt, im Körper von Olivier Gourmet.

Ende November 2001, nach rund 60 Drehtagen, ist der Film abgedreht. Bald danach geschnitten und feiert Premiere in Cannes 2002. Gourmet wird als bester Schauspieler prämiert, der Film gewinnt den Preis der ökumenischen Jury. Wieder taumeln die Brüder durch die Reisen, den Erfolg, das Exponiertsein in eine Findungskrise für einen neuen Stoff.

Die Geschichte von einer albanischen Migrantin (Lorna) kündigt sich schon an, aber eigentlich wollen sie einen Film über Gruppen machen, nicht unbedingt ein Ensemble-Film, aber sie haben nach dem Abschluss des Zyklus La Promesse – Rosetta – Le Fils das Gefühl, sie müssten etwas komplett anderes machen. Nicht mehr im Nacken von Olivier oder Rosetta hängen, sondern die Welt mehr öffnen. Vor allem: Sich nicht wiederholen! Sie denken sogar an ein Märchen, auf jeden Fall sollte es etwas Leichteres sein, vielleicht eine Erzählung für Kinder.

Am 28.4.2003, wieder nach einer längeren Krisis, langem Suchen und Verwerfen von Ideen, schreibt Luc:
Es ist Montag. Ich beginne die erste Fassung des Drehbuchs zu schreiben. Nach zwei Monaten des Gesprächs, haben wir den Plan der Geschichte und die Hauptfiguren.

Am nächsten Tag:

Es wird dieser Film vielleicht mehr Süße erhalten, als die anderen.
Arbeitstitel: Die Kraft der Liebe (La Force de l´amour)

Dann ein Monat kein Eintrag.
Nach der Schreibklausur sieht Luc Filme von Hawks, Lang und von Trier, liest einige Bücher und Stücke (Faulkner und Tschechow) und bezieht sich permanent auf Thema und Charaktere des neuen Drehbuchs, das mittlerweile den Titel Der Rückkauf (Le Rachat) trägt. Bruno (Jérémie Rénier), der Protagonist, verkauft sein Neugeborenes an die Mafia; Sonja, die Mutter, weiß nichts davon. Die Brüder hadern, wie sie die moralische Entwicklung von Bruno glaubhaft darstellen sollen. Soll er sterben, soll er sein Vater-Sein akzeptieren lernen, soll er ein Mörder sein und büßen? Es folgen wieder Monate der Bedenken:
20.8.2003

(…)Schon wieder ein Mord und das sich Widersetzen, die Unmöglichkeit ihn zu begehen, wie der Rückkauf von Bruno? Wir wiederholen uns. Jean-Pierre meint, dass wir unbedingt etwas anderes finden müssen. Ich auch, aber ich weiß nicht was. Es wäre besser, wenn Bruno nicht zum Bösen zurückkehren würde und sich dagegenstellt um sich zu ändern. Eine Situation finden, die ihn aus seinem moralischen Koma herausstößt, ohne dass das Böse eine Rolle spielt um ihn daraus zu lösen.  

24.10.2003

Wer ist Bruno? Was will er? Was sucht er? Ich habe keine Ahnung. Jean-Pierre auch nicht. Er entflieht uns. Mehr als alle anderen Figuren, die wir bis jetzt beschrieben haben. Wie ihn nicht in den Tod führen? Man könnte meinen, dass er sie (Sonja) sucht.

30.11.2003

Ein langes Telefonat mit Jean-Pierre. Ich begebe mich zu weit in der Dramaturgie des Rückkaufs. Zum Körper zurückkehren, zu den Accessoires, den Orten, den Mauern, den Türen, zum Fluss. Weg vom Konkreten, keine Ideen, oder warten, bis die Idee zwingend wird und möglicherweise als etwas Konkretes wieder erscheint, in dem die Spuren fühlbar sind. Die essentiellen Momente für das Schreiben unserer Drehbücher sind die vergessenen Beiwerke unserer Ideen. Deshalb braucht es so viel Zeit. 

Ein wichtiger Punkt in ihrer Filmarbeit, ist die Drehbuch-chronologische Drehweise. Auch für L´Enfant wird sie notwendig sein:
Für diesen Film werden wir auch chronologisch drehen müssen um die Entwicklung der Figuren zu spüren, um von ihnen imprägniert zu sein, sie zu werden um zu entscheiden, was sie tun und sagen können und was nicht, um entscheiden zu können in diesem oder jenem Set zu drehen, das im Drehbuch vorgesehen war. Chronologisch zu drehen ist seit La Promesse unsere Methode. Je mehr wir im Dreh voranschreiten, desto mehr bekommen die Figuren ihren Körper, ihre Sprache, ihr Verhalten und wir können uns in das Ergänzen und Streichen der Szenen wagen.

Im Juli 2004 beginnen die Brüder mit intensiven Probenarbeiten mit den Schauspielern in den möglichen Settings. Sie entscheiden sich für 12, wenn es notwendig sein wird 13 oder 14 Wochen Drehzeit. Am 20.9.2004 beginnen sie zu drehen. Luc versucht sich von seiner Erinnerung zu lösen:
Erfahrung zu haben ist schlecht für den Cinéasten. Sie sterilisiert, wandelt alles, was man sieht in Trauer. Er glaubt, dass er sich auf sie stützen kann, aber sie lässt ihn in die formale Falle tappen, die sein Voranschreiten behindert.

Er zitiert Shakespeare Wie es euch gefällt, 4.Akt, Szene 1:

Rosalinde: „Und ihre Erfahrung macht sie traurig. Ich hätte lieber einen Verrückten um mich zu erheitern, als den Trauer stiftenden Graubart der Erfahrung.“

Am 9.12.2004, nach beinahe zwei Monaten Drehzeit, ist L´Enfant abgedreht.

Nach der 11. Schnittfassung ist der Film noch nicht fertig, die Aufzeichnungen sind zu Ende.

Inspiration für Ihre Geschichten finden die Dardennes in der politischen Entwicklung ihrer Region (und natürlich darüber hinaus), Alltagseindrücken und besonders aus den großen Werken der Kulturgeschichte: die Bibel, Sophokles (Ödipus-Trilogie; Iphigenie), Aischylos (Orestie), Shakespeare (Hamlet, Richard III.; King Lear), Freud, Levinas, Hegel. Der „conflit cornelien„, den Hegel als den wahren tragischen Konflikt beschreibt, zieht sich als dramaturgischer Anspruch wie ein roter Faden durch ihren Geschichtsfindungsprozess. Die Hauptfigur ist mit einer Situation konfrontiert, die sich in jedem (Entscheidungs-)Fall mit der Katastrophe abfinden muss: Abraham, Iphigenie, Hiob, Ödipus, Hamlet. Im Gegensatz zu den tragischen Figuren ihrer Vorbilder schaffen es die Brüder den Figuren am Ende ihrer Geschichten einen hoffnungsvollen Ausgang zu geben. Igor stellt sich gegen den skrupellosen Vater und findet zu sich; Rosetta findet einen Freund; in Le Fils kann Olivier Gourmet den Mörder seines Sohnes als seinen eigenen Sohn  akzeptieren; Bruno und Sonja werden in L´Enfant schließlich eine Familie; Lorna zieht sich wie ein Tier zurück in den Wald um sich von der desillusionierenden Welt zurückzuziehen; Le gamin au vélo kann seine Sozialhelferin als Mutter akzeptieren; Sandra (Marion Cotillard) wird schließlich nicht aus der Fabrik geschmissen; Jenny Dauvin kann mit der Auflösung des Mordes ihre Aufgabe als Ärztin neu zusammensetzen.

Émmanuel Levinas, dessen sensible Beschreibungen über das Gegenüber, das der/die Einzelne immer auch selbst bedeutet, wird von Luc sehr oft zitiert und sogar als unumgänglicher geistiger Begleiter ihres Schaffens beschrieben. Er zitiert aus Difficile liberté am 7.6.1994:
Kunst wird von Vielen als Manifestation unserer Möglichkeit zur Immortalität angesehen, als starkes Verlangen zu überdauern, als Gegen-Schicksal (anti-destin). Könnte sie auch eine Modalität der Institution von der Unmöglichkeit (des Vebots) des Tötens sein? Könnte sie der Seele, die sich ihr öffnet, den Weg der Unmöglichkeit des Mords am Anderen erschließen? Einen Bildschirm betrachten, ein Bild, eine Bühne, eine Skulptur, eine Seite, den Gesang hören, die Musik, aus all dem hallt es: töte nicht.

Das Böse ist kein mystisches Prinzip, das durch einen Ritus unterbunden werden kann, es ist ein Angriff, den der Mensch dem Menschen antut. Niemand, nicht einmal Gott, kann das Opfer ersetzen. Die Welt, in der das Verzeihen All-mächtig ist, wird unmenschlich.

Und immer wieder Lucs aphoristische Betrachtungen. Am 10.1.1999:
Der wahrhafte Befund: Die Abwesenheit des Menschlichen im Menschen. Die Abwesenheit Gottes war eine Interpretation dieses Befunds, eine Art den Kampf anzukünden, in der Ablehnung unsere Einsamkeit anzuerkennen. Heute ist die Kunst an diesen wahrhaft schrecklichen Befund gebunden. Im Kampf mit sich selbst entstehen seine Werke.

Das Wort finden, in dem die Stille eines anderen spricht. Den Kader finden, welcher den Raum des Unsichtbaren zeigt.

Konstruieren, konstruieren, die unkonstruierbare Überraschung konstruieren.

Dardenne Luc: Au dos do nos images, 1991–2005. Suivi de Le Fils, L’Enfant, et Le Silence de Lorna par Jean-Pierre et Luc Dardenne. Paris: Seuil, 2008.

Das Arbeitsjournal von Luc Dardenne ist bislang nur im Französischen erschienen. Die Zeitschrift Revolver – Zeitschrift für Film veröffentlichte in der Ausgabe 14/2006 Auszüge zur Entstehung des Film Le Fils in der deutschen Übersetzung.

 

Stefanie Diekmann (Hg.): Schreiben über Film. Hommage an Karsten Witte
Buchrezension von Kerstin Parth

Stefanie Diekmann (Hg.): Schreiben über Film. Hommage an Karsten Witte, Berlin: Kulturverlag Kadmos, 2010.

Filmkritik zu machen ist ungefähr, wie von einer Brücke herunter ins Wasser zu spucken[1], schrieb André Bazin 1958 in seinen Überlegungen zur Filmkritik. Bazin zielte damit auf die dem Film zugewandte Seite der Kritik, die er als nutzlos im Einfluss auf den kommerziellen Erfolg eines Filmes sowie als folgenlos in der Wirkung auf die Regisseure und damit die Herstellung zukünftiger Filme beschrieb.  Für das Publikum hingegen sei die Filmkritik geschaffen, denn „wenn ich auch nur einem die kinematographische Wahrheit offenbart hätte, so wäre meine Aufgabe als Kritiker gerechtfertigt.[2]

Fragen nach Sinn und Unsinn, Macht und Ohnmacht der Filmkritik werden seit den Anfängen der Kinematografie gestellt und im Spiegel der jeweiligen Filmlandschaft immer wieder neu beantwortet. Bevor sich die Filmwissenschaft als eigene Disziplin begründete, waren es vor allem die Kritiker selbst, die ihr Schreiben in Gesprächen, Textbeiträgen und Selbstbeschreibungen kritisch hinterfragten. Der deutsche Filmpublizist Karsten Witte (1944-1995) ist ein wichtiger Vertreter eines reflektierten Schreibens, galt er doch ein Leben lang als „Theoretiker im Tagesgeschäft der Filmkritik[3], der sein Schaffen analytisch begleitete und kritisch begründete. Schreiben über Film. Hommage an Karsten Witte[4] lautet der programmatische Titel des von Stefanie Diekmann im Kulturverlag Kadmos erschienenen Bandes, in dem sich die Herausgeberin gemeinsam mit 14 Autorinnen und Autoren in Rückgriff auf Karsten Wittes filmpublizistisches Oeuvre den Positionen und Funktionen der deutschen Filmpublizistik zuwendet. Der Untertitel weist den Band zugleich als Würdigung einer der wichtigsten Stimmen in der Filmkritik der deutschen Nachkriegszeit aus. Karsten Witte, Filmwissenschaftler, erster Professor der 1991 an der Freien Universität Berlin neu gegründeten Filmwissenschaft, Drehbuch- und Hörfunkautor, Dramaturg, Lyriker, Übersetzer, Herausgeber (u.a. der Suhrkamp-Werkausgabe von Siegfried Kracauer[5]) war ein Leben lang leidenschaftlicher Anhänger einer anspruchsvollen Filmkritik, die im Geiste der Kritischen Theorie auf Debatte und Positionierung in der Gesellschaft ausgerichtet ist. Witte schrieb Rezensionen für Tages- und Wochenzeitungen, vor allem für Die Zeit und Frankfurter Rundschau, Beiträge für Filmzeitschriften und -magazine, verfasste Schauspielerporträts, Nachrufe, Buchrezensionen, Festivalberichte, Katalogbeiträge zu Retrospektiven, Interviews und zahlreiche Buchpublikationen, seine bekanntesten zur Filmkomödie im Faschismus[6] und zum Werk Pier Paolo Pasolinis[7].  Diekmann durchquert dieses weit über die journalistische Arbeit hinausreichende Gesamtwerk und verzichtet dabei bewusst auf eine Einteilung der Texte in Kategorien wie „literarisch“, „journalistisch“, „populär“ oder „akademisch“. Stattdessen wird Schreiben bei Karsten Witte als fortwährender Prozess sichtbar, in dem sich Themen und Formate laufend durchmischen. Die einzelnen Beiträge sind Wittes vielfältigem Nachdenken über Film gewidmet und arbeiten die spezifischen Bedingungen, Widerstände und Orte, an denen Schreiben über Film stattfindet, heraus. Ein solcher Zugriff erlaubt es, Fragen nach Praxis und Theorie der Filmkritik, die Witte stets selbst reflektierte, als zentrales Moment zu behalten und Wittes Schreiben im Verhältnis zu aktuellen Tendenzen und Veränderungen in der Filmpublizistik zu betrachten.

Karsten Witte bezeichnete sich selbst gerne als Passagier. In seiner Tätigkeit als freier Autor, der zeitlebens nie fest an eine Redaktion gebunden war, lag für ihn eine Freiheit, sich auch den Randbereichen des Kinos zuzuwenden. Wittes jüngerer Kollege Andreas Kilb, damals Feuilleton-Redakteur der Wochenzeitung Die Zeit und als solcher auch Wittes Auftraggeber, heute Filmkritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.), schrieb in seinem Nachruf auf den ehemaligen Kollegen: „Witte, der alles wußte, was es zu wissen gibt, ging ins Kino, um vom Gewußten abgelenkt, aufs fremde Gleis geführt zu werden. Beim Nachdenken über sein Schreiben, in Interviews und Selbstbetrachtungen sprach er immer wieder vom „Transitraum“, in den er durch die Bilder gelange, von der Lust, Identität im Anderen, Selbsterfahrung am Fremden zu gewinnen.[8]  Die Beiträge des Bandes verweisen durchwegs auf diese Wissbegierde und seinen aufklärerischen Drang und legen zugleich die Mechanismen offen, die sein Schreiben prägten. Denn Wittes umfassende Kenntnisse zum afrikanischen und japanischen Film, seine Affinität zu kleinen, engagierten Festivals[9] resultieren auch aus der Notwendigkeit sich Themen zuzuwenden, die fest angestellte Filmkritiker im Redaktionsalltag übergehen. Dabei lässt sich Witte in seinen Entdeckungsreisen in marginale Kinolandschaften keineswegs von „vorauseilendem Wohlwollen[10] leiten; er tritt Filmen aus Lateinamerika, Asien oder Afrika mit der gleichen Neugier und Skepsis entgegen, wie der vertrauten Filmsprache des französischen Autorenfilms. Lukas Foerster skizziert in seinem Beitrag „Exemplarische Qualität des Fremden“ – Über einige Positionen zum japanischen Kino[11] Wittes Bemühungen, sowohl kritische Distanz zum Eigenen, als auch zum Fremden zu erlangen. Denn erst dieser emanzipierte Blick eröffnet für Witte eine Perspektive, die ein produktives Nachdenken und Schreiben über Film ermöglicht. Der Passagier Karsten Witte, bei dem ein Artikel zum nationalen Kino Japans pointiert und persönlich, das Porträt einer deutschen Schauspielerin hingegen lang und kompliziert geraten konnte, wie Herausgeberin Stefanie Diekmann bereits einleitend feststellt, widmet sich all diesen Spielarten der Filmkritik[12] mit der ihm eigenen Sorgfalt und Ernsthaftigkeit. Denn eine kritische Auseinandersetzung im Sinne Wittes erfordert gründliche Vorbereitung: Filme sieht er wenn möglich zwei Mal, bevor er über sie schreibt, er recherchiert in Museen und Bibliotheken, stellt Seherfahrungen in Kontext zur Kultur und Geschichte eines Landes.

Über 36 Leitzkartons mit Bild-, Ton-  und Schriftdokumenten sind so bis zu seinem frühen Tod, im Alter von nur 51 Jahren, entstanden; allesamt hat Witte der Berliner Stiftung Deutsche Kinemathek vermacht, die diese umfangreichen Arbeitsmaterialien seit 1995 sichtet und katalogisiert. Was bleibt?[13] sind Rainer Herrns einführende Notizen zu Wittes Nachlass betitelt – und schon die schiere Fülle an Materialien zeigt, im Falle Witte bleibt sehr viel. Mit großer Akribie geordnete Mappen mit Korrespondenzen, dicht gefüllte Aktenordner mit Unterlagen zu Literatur, Theater, Kunst, Musik, Philosophie, Film und vor allem über 160 handschriftlich gefüllte Tagebücher zeugen von Wittes vielseitigen Interessen. Sie geben gleichsam exemplarisch Einblick in das Arbeitsarchiv eines einem analytischen Schreiben verpflichteten Filmkritikers und Filmwissenschaftlers. Denn insbesondere seine Filmtagebücher, die Witte getrennt von einer zweiten „namenlosen“ Serie mit Notizen zu Privatem, Literarischem und Reiseeindrücken seit Beginn seines Studiums geführt hat, dienten ihm als Grundlage für filmpublizistische und filmwissenschaftliche Arbeiten. Zunehmend systematisiert, mit Angaben zu Regie, Buch, Darstellern, Datum, Ort und Qualität der Vorführung, stattet er sie später zusätzlich mit Inhaltsangabe und Paginierung aus. Entstanden ist damit auch eine „Chronik des marginalen Films[14], in der Kritiken zu großen Hollywood-Produktionen und Berichte von den so genannten A-Festivals in Berlin, Cannes, Locarno und Venedig weitgehend fehlen. Sichtbar wird in den Filmtagebüchern hingegen die Gründlichkeit, mit der sich Witte all seinen Tätigkeiten zuwendete. Für seine Rezensionen von Filmen aus der ganzen Welt finden sich zahlreiche Hintergrundnotizen, nicht nur zum nationalen Kino sondern auch zur Sach- und Landeskunde, Lektüreeindrücke und kulturgeschichtliche Abrisse des jeweiligen Landes. Manche Einträge werden mittels Querverweisen zueinander in Bezug gesetzt, andere später ergänzt, wofür er die linke Seite der Tagebücher eigens freihielt. Dennoch sind die Einträge nicht nur für Witte selbst zu entschlüsseln; Faksimiles einzelner Tagebuchseiten, die mehreren Beiträgen beigefügt sind, belegen das eindrücklich. Zum Teil hat Witte ganze Passagen Wort für Wort in spätere Publikationen übernommen; manchen Freunden und Kollegen hat er Auszüge aus den Tagebüchern zugeschickt, wie etwa der Filmemacherin Ulrike Ottinger, deren Werk Witte über Jahrzehnte empathisch begleitete und deren Korrespondenz mit zahlreichen Abbildungen im Buch vertreten ist.

Wie entschieden sich Witte in der deutschen Filmkritik positionierte, zeigt eine in den 1980er Jahren hitzig geführte Debatte, auf die an mehreren Stellen des Bandes Bezug genommen wird. Insbesondere Ekkehard Knörer, Filmkritiker u.a. für taz – die Tageszeitung und für das Online-Magazin perlentaucher.de,  analysiert in seinem Beitrag  Ein Begriff von Kritik[15] diese öffentliche Auseinandersetzung um ein Verständnis von Sinn und Zweck der Filmkritik und setzt die Debatte in ein Verhältnis zur filmkritischen Praxis damals und heute. Entstanden aus einem internen Redaktionsstreit im Feuilleton der Wochenzeitung Die Zeit[16] beteiligte sich bald die gesamte deutsche Filmpublizistik an der Diskussion und teilte die Kritikerlandschaft in zwei Lager. Auf der einen Seite standen mit Karsten Witte, Norbert Jochum und Norbert Grob (damals beide Die Zeit) die Vertreter einer ästhetisch-politischen Schreibtradition, die sich einem kulturkritischen Nachdenken über Film in der Tradition Siegfried Kracauers und der Frankfurter Schule verpflichtet sahen. Auf der anderen Seite stand eine junge Generation von Filmkritikern, die in den frühen 1980er Jahren mit dem Schreiben begonnen hatte und sich für einen neuen, subjektiven Schreibstil stark machte. Angeführt von Claudius Seidl (damals Süddeutsche Zeitung), Andreas Kilb und Michael Althen (damals beide Die Zeit) propagierten sie ein empathisches, emotionales und ereignishaftes Schreiben, das ihre persönliche Begeisterung für das Kino bewusst ausstellte. Karsten Witte hingegen, der seine filmkritische Arbeit in gesellschaftlichen Diskursen verankert sehen wollte, konnte mit einem solchen Akzent nicht einverstanden sein. Ihren Höhepunkt fand die Debatte im Sommer 1989 in der Ringvorlesung Positionen und Kontroversen der bundesdeutschen Filmkritik an der Freien Universität Berlin. Darin distanzierte sich Witte ausdrücklich von seinen jüngeren Kollegen, indem er ihren Subjektivismus, der sich im Beschreiben von Empfindlichkeiten anstelle von Reflexion und Analyse zeige, sowie ihren Populismus, der sich dem Vertrauten zuwende, anstatt das Unbekannte zu beschreiben, scharf angriff. Witte sah mit dieser Entwicklung das gesamte deutsche Feuilleton in einer Krise und sich selbst polemisch als „eine(n) jener Vertreter von Filmkritik, die mit den Filmen, denen sie sich widmen, im Museum des Jahres 2000 verschwinden werden[17]. In den 1990er Jahren verlor die Diskussion allmählich an Schärfe, nicht etwa weil sich die Schreibpositionen einander annäherten, sondern weil die Spielräume der Filmkritik generell enger wurden. Der Bedeutungsverlust der Tagespresse für den öffentlichen Diskurs, zunehmende ökonomische Zwänge in den Redaktionen und die Tendenz zur Verlagerung der Filmkritik ins Internet – ein Phänomen, dem Ekkehard Knörer einen kulturoptimistischen Ausblick widmet – ließen die ehemaligen Kontrahenten näher zusammenrücken. „So einigten wir uns darauf, uns nicht zu einigen[18], schließt Andreas Kilb, der die Debatte einst im internen Redaktionsstreit mit Witte auslöste, seinen Beitrag versöhnlich.

Stefanie Diekmanns Band Schreiben über Film. Hommage an Karsten Witte ließen sich noch viele Anregungen für eine Reflexion der gesellschaftlichen, medialen und ökonomischen Bedingungen der Filmkritik entnehmen. Vor allem aber ist das Buch eine Einladung, Karsten Wittes eigene Texte (wieder) zu entdecken. In diesem Sinne stellt der letzte Abschnitt des Bandes, Schreibarbeit, Wittes konkrete Arbeit am Text vor und liefert zahlreiche Beispiele, in denen Wittes Schreib- und Denkbewegungen nachvollzogen werden können. Die Herausgeberin Stefanie Diekmann selbst charakterisiert in ihrem Beitrag Schreiben über Schauspieler[19] Wittes unverkennbaren Schreibstil: „Er präferiert die Sentenzen, die Ellipsen. Seine Sätze sind eher kurz als lang, die Formulierungen oft wie gestochen (und ganz gelegentlich: wie gedrechselt). Die kleinen Formen, die er für Aufsätze und die Bücher vervielfältigt und serialisiert hat, sind das Aperçu, der Aphorismus, das Diktum, die Vignette, die Notiz, die Annotation. Seine Texte verlaufen manchmal so, als hätte er versucht, sie zu choreografieren. Umbrüche sind wichtig, Überraschungen desgleichen, und außerdem: Aufmerksamkeit, Anspannung, dichte Beschreibung, von der im richtigen Augenblick wieder abzulassen ist, wie um jeden Eindruck von Anstrengung zu vermeiden.[20] Stefanie Diekmann gelingt gemeinsam mit vielen ehemaligen Weggefährten eine überfällige Würdigung dieser wichtigen Stimme der deutschen Filmpublizistik und macht große Lust, sich mit Karsten Wittes Werk eingehender zu beschäftigen. Umso bedauerlicher, dass mit Im Kino. Texte vom Sehen & Hören[21] die von Witte selbst zusammengestellte Anthologie ausgewählter Aufsätze und Filmkritiken nur mehr antiquarisch verfügbar ist. Umso verdienstvoller hat der Verlag Vorwerk 8 im Jahr 2011 mit Schriften zum Kino. Westeuropa, Japan, Afrika nach 1945[22] erneut eine Auswahl Wittes journalistischer und akademischer Texte zum Film herausgegeben, die es zu entdecken gilt. Es bleibt also zu hoffen, dass Karsten Wittes noch heute so aktuelle Schriften nicht wie einst von ihm prognostiziert im Museum verschwinden.

[1] Bazin, André: Filmkritiken als Filmgeschichte. Aus dem Französischen von Andrea Spingler. Zusammengestellt von Helmut Färber. Arbeitshefte Film 7, München: Carl Hanser Verlag, 1981, S. 5

[2] Bazin: Filmkritiken als Filmgeschichte, a.a.O., S. 7-8

[3] Traber, Bodo: Karsten Witte: Eine überfällige Wiederentdeckung. In: critc.de URL: http://www.critic.de/special/karsten-witte-eine-ueberfaellige-wiederentdeckung-3490/, 15.04.2012

[4] Diekmann, Stefanie (Hg.): Schreiben über Film. Hommage an Karsten Witte, Berlin: Kulturverlag Kadmos, 2010

[5] Kracauer, Siegfried: Theorie des Films. Hg. von Karsten Witte, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1971-1990

[6] Witte, Karsten: Lachende Erben, toller Tag: Filmkomödie im Dritten Reich, Berlin: Vorwerk 8, 1995

[7] Witte, Karsten: Die Körper des Ketzers: Pier Paolo Pasolini, Hg. a.d. Nachlass von Rainer Herrn, Berlin: Vorwerk 8, 1998

[8] Kilb, Andreas: Der Fremdgänger. In: Die Zeit, 03.11.1995. Online unter: http://www.zeit.de/1995/45/Der_Fremdgaenger (Letzter Zugriff: 15.04.2012)

[9] Zu Karsten Wittes Festivalberichten vgl. Rebhandl, Bert: Der fortgeschrittene Zapper. Karsten Wittes Berichte von Filmfestivals. In: Diekmann: Schreiben über Film, a.a.O., S. 33-38

[10] Nord, Cristina: „Da kaufe ich keine Bahnhofskarte für mein Ich.“ – Zu Karsten Wittes Auseinandersetzung mit außereuropäischen Kinematografien. In: Diekmann: Schreiben über Film, a.a.O., S. 63

[11] Foerster, Lukas: „Exemplarische Qualität des Fremden“ – Über einige Positionen zum japanischen Kino. In: Diekmann: Schreiben über Film, a.a.O., S. 69-76

[12] Den Spielarten der Filmkritik ist der erste Abschnitt des besprochenen Bandes gewidmet, u.a. zur Festivalkritik und zu Rezensionen von Filmbüchern, vgl. Rebhandl: Der fortgeschrittene Zapper, a.a.O., S. 33-38, Rothöhler, Simon: Das kommt jetzt wieder. Zu Karsten Wittes Besprechungen von Filmbüchern, a.a.O., S. 39-46

[13] Herrn, Rainer: Was bleibt? – Notizen zum Nachlass von Karsten Witte, a.a.O., S. 9-26

[14] Herrn: Was bleibt?, a.a.O., S. 24

[15] Knörer, Ekkehard: Ein Begriff von Kritik. In: Diekmann: Schreiben über Film, a.a.O., S. 47-57

[16] Zu der Entstehung der Debatte vgl. Kilb, Andreas: Der Perfektionist. Eine Erinnerung an Karsten Witte. In: Diekmann: Schreiben über Film, a.a.O., S. 29-31

[17] Witte, Karsten: Vortrag an der FU Berlin, 1989, zitiert nach:  Knörer: Ein Begriff von Kritik, a.a.O., S. 47

[18] Kilb: Der Perfektionist, a.a.O., S. 30

[19] Diekmann, Stefanie: Schreiben über Schauspieler. In: Ders.(Hg.): Schreiben über Film, a.a.O., S. 155-168

[20] Diekmann: Schreiben über Schauspieler, a.a.O., S. 162

[21] Witte, Karsten: Im Kino: Texte vom Sehen & Hören. Frankfurt am Main: Fischer Verlag, 1985

[22] Witte, Karsten: Schriften zum Kino. Westeuropa, Japan, Afrika nach 1945, Hg. v. Bernhard Groß und Connie Betz. Berlin: Vorwerk 8, 2011