Neue Perspektiven auf die Welt eröffnen

Filmstill aus "MATHIAS"

Matthias Writze und Johannes Schellhorn geben Einblicke in ihre Arbeit am Kurzspielfilm MATHIAS

MATHIAS, der Bachelorfilm von Regie- und Drehbuchstudentin Clara Stern, feiert auf der Diagonale 2017 seine Uraufführung. Der Film erzählt die Geschichte einer Transition. Mathias hieß früher nämlich Magda, aber das sollen seine neuen Arbeitskollegen nie erfahren. Obwohl er klar zu seiner Entscheidung steht, muss er sich in seinem neuen Leben und seinem neuen Job zurechtfinden.

Matthias Writze – Schnitt und Dramaturgie

Portrait Matthias Writze

Matthias Writze (Foto: privat)

Du studierst Drehbuch und Schnitt. Wie kam es zu dieser Kombination und welche Vorteile siehst du in dieser Kombination für beide Bereiche?

Matthias Writze: Ich habe vor meinem Studium an der Filmakademie Wien als Journalist gearbeitet, komme also aus dem dokumentarischen Bereich, und dort sind die Bereiche Schnitt und Buch viel stärker verknüpft, weil beide ja primär dramaturgisch arbeiten. Im Studium habe ich dann in beiden Fächern viel über das jeweils andere gelernt. Beim Schneiden werden Probleme im Drehbuch schnell offensichtlich und man lernt viel stärker „auf Schnitt“ zu schreiben.

Wie gestaltete sich deine Zusammenarbeit mit der Regie beim Film MATHIAS in deiner Funktion als Dramaturg und Editor?

MW: Mit Clara Stern habe ich schon oft zusammengearbeitet und bei MATHIAS war ich schon in einer frühen Phase involviert. Durch unsere vielen Gespräche im Vorhinein wussten wir dann schon, was für ein Gefühl der Film haben soll und was für uns das Essentielle an der Handlung ist. Und das hat die Arbeit im Schnitt dann natürlich um einiges vereinfacht. Während Regie und Schnitt oft erst im Prozess eine gemeinsame Vision für ihren Film finden müssen, hatte ich das Gefühl, dass die Vision bei uns durch die dramaturgische Vorarbeit schon von Anfang an da war.

Gab es große Herausforderungen im Schnittprozess von MATHIAS?  Wie ist die Thematik des Films in deine Arbeit eingeflossen?

MW: Die Hauptfigur in MATHIAS ist ein Transmann und die Herausforderung war dabei die Geschichte so authentisch wie möglich zu erzählen – die DrehbuchautorInnen Clara Stern und Johannes Höß haben circa ein Jahr für den Film recherchiert. F2M-Transgender ist ein Thema, das in den Medien wenig vorkommt, und viele Menschen haben komplett falsche Vorstellungen, wie so eine Transition abläuft. Die Schwierigkeit war also die Geschichte so zu erzählen, dass sie die ZuschauerInnen ohne Vorwissen verstehen. Gleichzeitig wollten wir ja keinen Lehrfilm machen und haben versucht die Exposition auf ein Minimum zu beschränken. Wir haben den Film dann im Schnitt immer wieder Personen gezeigt, die von der Thematik wenig Ahnung hatten, um herauszufinden, wo es Verständnisprobleme gibt. Gleichzeitig haben wir auch Feedback aus der Transgender-Community gesucht, weil wir eben höchstmögliche Authentizität erzielen wollten. In diesem Spannungsfeld zu arbeiten, hat mir gut gefallen. Es gibt nichts Schöneres, als wenn einem im künstlerischen Schaffen neue Perspektiven auf unsere Welt eröffnet werden und ich hoffe, dass wir mit unserem Film auch anderen eine spannende Perspektive zeigen können.

Matthias Writze (geb. 1988 in Mödling) studierte Journalismus an der FH-Wien und arbeitete als freier Journalist unter anderem für die Wiener Stadtzeitung Falter und das Medienmagazin Horizont. Seit 2010 studiert er Drehbuch und Dramaturgie, sowie Filmschnitt an der Filmakademie Wien (beide Bachelor-Abschlüsse im Jahr 2013). 2015 bekam er gemeinsam mit Michael Podogil den Carl-Mayer-Förderpreis der Stadt Graz für das Treatment The Power of Love verliehen, 2016 das Drehbuch-Stipendium der Literar Mechana für Antigone/Ayasha. Er wirkte als Drehbuchautor oder Editor an mehreren preisgekrönten Kurzfilmen mit, seit letzter Film Wannabe (Regie: Jannis Lenz) wurde gerade beim Filmfestival in Clermont-Ferrand für den Europäischen Filmpreis als bester Kurzfilm nominiert. Matthias Writze arbeitet als selbstständiger Editor, Drehbuchautor und Dramaturg in Wien.

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Filmstill aus „MATHIAS“

Johannes Schellhorn – Sounddesign

Du studierst Schnitt, bist bei MATHIAS für Sounddesign verantwortlich. Wie sehr bedingen sich Schnitt und Sounddesign?

Johannes Schellhorn: Schnitt und Sounddesign sind beide an die Post-Produktion gekoppelt, die Phase, in der der Film wirklich zu dem wird, was man im Kino dann auch sieht und hört. Somit sind beide Arbeitsbereiche schon sehr eng miteinander verbunden, obwohl sich ihr Fokus ganz klar voneinander unterscheidet. Das, was unsere Arbeitsbereiche tatsächlich verbindet, ist das Bewusstsein, den Film nun wirklich zu Ende zu gestalten. Wir sind nicht in den Dreh involviert und behalten daher den Fokus allein auf den Film, nicht darauf, was davor passiert ist. Das gibt uns die Möglichkeit streng zu beurteilen und den Film als Ganzes zu behandeln.
Im Sounddesign gewinnt die Welt, die im Film erzählt wird, an Fülle und bekommt einen klaren Körper. Sounddesign verlangt absolute Begeisterung, die Welt des Films im Ton zu erzählen – ganz geschwollen ausgedrückt. Offene Ohren, der Wille auszuprobieren und sich von Klang und Geräusch überraschen zu lassen, sind Voraussetzung.

Wie gehst du an das Sounddesign heran? Wie entsteht das Konzept, ab welchem Zeitpunkt bist du involviert?

JS: Meine Arbeit beginnt konkret bei der Sichtung des fertigen Schnitts in Anwesenheit von Regie und Editor, sprich bei der offiziellen Übergabe ans Sounddesign. Der erste richtige Arbeitsschritt ist dann weniger kreativ als vielmehr technisch: Originalton putzen. Der vom Schnitt angelegte Ton wird auf alle möglichen Fehler hin untersucht und ausgebessert, Knackser werden ausgebügelt, Phasen verschoben, kurz: es wird aufgeräumt. Organisatorisch ist dieser Arbeitsschritt auch sehr wichtig, da spätestens hier klar wird, ob es ein Nachsprechen der Schauspieler benötigt oder ob es sogar zu Foley-Aufnahmen kommen wird. Beides will geklärt und rechtzeitig ausgemacht sein.

Johannes Schellhorn (Foto: privat)

Johannes Schellhorn (Foto: privat)

Nun zur rein kreativen Arbeit: Idealerweise, wie es bei Clara Stern der Fall war, bekomme ich schon eine Art Konzept für die Tongestaltung vorgelegt: eine Wunschliste, was in welcher Szene zu hören sein soll. Dabei handelt es sich nicht um eine klare Auflistung bestimmter Geräusche, sondern um eine Definition der Stimmung: Soll es in der Szene lebhaft zugehen? Was sehen wir und wie können wir das im Ton verstärken oder verringern? Kommen keine Wünsche, mache ich Vorschläge. Man stöbert sehr lange durch Sound-Archive – sofern diese vorhanden sind – und testet, was am passendsten klingen könnte. Mit Ende des Sounddesigns von MATHIAS kannten Clara und ich wirklich alle Aufnahmen von Gabelstaplern, Lastwagen und Mopeds, die im Archiv zu finden waren.

Gab es große Herausforderungen für das Sounddesign zu MATHIAS?

JS: Die Größe des Projekts allgemein war vermutlich das, was man als Herausforderung bezeichnen kann. Wir haben wirklich alles gemacht, was gemacht werden kann: Wir mussten ganze Szenen nachsprechen lassen, wir nahmen im Tonstudio Tremens Foleys auf, ich habe eigene Atmos und Nebengeräusche nachträglich selbst aufgenommen, da nichts Passendes im Soundarchiv zu finden war; wir hatten einen klaren Terminplan, die Mischung knapp vor Weihnachten verlangte klarerweise auch Konzentration bis zum Schluss…
Froh und dankbar bin ich für die Unterstützung und Hilfe der KollegInnen, die mit mir zu tun hatten, und dank derer ich jetzt sagen kann, dass die „Herausforderungen“ eigentlich keine waren. Allen voran Christoph Listabarth, ohne den der Tonschnitt und das Originaltonputzen dreimal so lange gedauert hätte, dann mein betreuender Professor Philipp Mosser, der mit mir verschiedenste Details der Tongestaltung behandelt hat, klarerweise auch Mischmeister Bernhard Maisch, der mich während der Mischung noch vor so manch technischen Fehlern bewahrt hat und schließlich auch Clara Stern, die durch ihre Begeisterung fürs Erzählen auch während des Sounddesigns mit mir immer konzentriert zusammengearbeitet hat und jeden meiner Vorschläge sehr ernst genommen hat.

Danksagungen können zwar anstrengend zu lesen sein, sollten aber bei einem Film immer Platz haben – denn es sind mehrere, die da zusammenarbeiten, und das sollte nie vergessen werden.

Johannes Schellhorn (geboren und aufgewachsen in Innsbruck) studiert seit 2013 Schnitt im Bachelorstudium an der Filmakademie Wien. Als Editor zeichnet er verantwortlich für  Musikvideos (von Wanda, Magmoiselle), Kurzspielfilme (Familiengrab, Regie: Bruno Kratochvil; Der Anruf, Regie: Johann Scholz) und Dokumentarfilme (Spring Hopes – Our way to live free, Regie: Jana Sabina Reißmann). Zur Zeit arbeitet er an seinem Bachelorfilm Es kommt von oben (Regie: Felix Krisai).

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Filmstill aus „MATHIAS“