Robert Polak 1944 – 2016

Foto privat zur Verfügung gestellt

Nachruf von Michael Hudecek zur Verabschiedung von Robert Polak

Lieber Robert, was möchte ich Dir noch sagen?

Vorgestern habe ich mir Deinen Film Locus Iste angeschaut, den Du gemeinsam mit Wolfgang Mörth gemacht hast. Ein Chor reist in zwölf Tagen zu 12 Klöstern um dort zu singen und vielleicht sich selbst zu finden. Dieser Film ist wie Du: Er hat Humor, Ernsthaftigkeit, Ruhe und Nähe. Er beobachtet sehr genau und hört gut hin. Ein stilles Zuschauen und Schmunzeln. Ich musste auch öfters Schmunzeln und war gleichzeitig ergriffen von den sakralen Gesängen, die dieser Chor darbietet – und das obwohl der „Spielbodenchor Dornbirn“ wie im Film erwähnt, „bei Gott“ kein religiöser Chor ist.

Besinnung ohne Glaubensbekenntnis. Obwohl wir nie über Religion gesprochen haben, glaube ich, dass auch diesbezüglich, dieser Film Dich spiegelt. Gegen Ende des Films erinnert sich ein Priester wie er erstmals von diesem Projekt erfahren hat und dies so kommentierte: „Am Ende wird auch die Hure fromm“ und alle Chormitglieder brechen in schallendes Gelächter aus.

Auf dem Parte lese ich einen Spruch nach Heinz Erhard:

Nun sitz’ ich hier im Paradiese
Mit anderen Engeln auf der Wiese.
Man ist sich noch ein wenig fremd
Zwei Flügel wachsen durch mein Hemd.

Wir wissen nicht, wo Du jetzt bist, wir hoffen, das deine Seele in Frieden ankommt, Du gut aufgehoben bist und die Wiese voller blühender Blumen ist.

Dein überraschender Tod ist für uns ein sehr harter Schnitt – ein deutlich spürbarer und sichtbarer Schnitt. Ganz anders, als der sogenannte unsichtbare Schnitt, den das klassische Hollywoodkino gepflegt hat. Es ist keine Blende oder Fade Out – es fühlt sich eher an wie ein heftiger Stopptrick, der Dich uns wegreißt. Der Dich von der Bildspur des Lebens auf eine andere – uns noch unbekannte und unsichtbare Bildspur hebt. Es fühlt sich an, wie wenn in einem Spielfilm noch lange vor dem Finale, ein wichtiger Schauspieler den Film verlässt.

Wie in dem Film The Purple Rose Of Cairo von Woody Allen, indem Jeff Daniels während der Kinovorstellung plötzlich die Leinwand verlässt – um sich in Mia Farrow, die im Kinopublikum sitzt, zu verlieben.
Plötzlich steht die Filmkulisse ohne diesen Darsteller da. Die anderen Schauspieler sind irritiert, weil ihr Text nicht mehr passt – weil ihr Spielpartner nicht mehr antwortet.

Auch für Dich ist dieser Schnitt wohl sehr überraschend gekommen. Du hast noch in diesem Sommer deine Vorlesung überarbeitet und auf ein neues System übertragen. Und in der Nacht vor der ersten Vorlesung dieses Semesters wurdest Du aus diesem Leben weggeschnitten. Vielleicht ein Schnittfehler? Ein Schnittfehler der sich leider nicht mehr korrigieren lässt. Es gibt dafür keine „Undo-Taste“. Die Drehbücher müssen nun umgeschrieben werden auf eine Variante, die auch ohne Dich funktioniert.
Das fällt uns nicht leicht.

Der Film läuft weiter und immer wieder wird uns diese seltsame Lücke auffallen, diese ungewöhnliche und unausgewogene Bildkomposition, die Platz lässt für eine Person die nicht mehr da ist. Zum Beispiel der Stuhl beim Tischchen in unserem Sekretariatsbüro bei Doris Lagler, an dem Du immer geduldig gewartet hast, bis die Studentin oder der Student mit dem Du verabredest warst, auch da war. Du hattest kein eigenes Büro, das brauchtest Du nicht. Du warst lieber umgeben von den anderen – mitten im Geschehen.
Du warst immer pünktlich und immer zur Stelle. Wenn Dich jemand um Rat gefragt hat, dann konntest Du ganze Nachmittage mit den Studierenden im Schneideraum verbringen um sie in der Montage ihrer Film zu unterstützen, die notwendige Klarheit und Struktur, das passende Tempo und den geeigneten Rhythmus zu finden – indem Du die richtigen Fragen gestellt hast.

Eine Studentin von Dir, die nun schon lange Zeit sehr erfolgreich als Schnittmeisterin arbeitet, hat folgende Zeilen über Dich geschrieben:
„Robert war für mich ein wunderbarer Lehrer, ein künstlerisch Beratender in allen Bereichen des Filmemachens, einer der mit seiner stillen Art den Blick für Tieferes öffnen konnte, eine ruhige und ernsthafte Art, wie ich sie in meiner nachfolgenden Karriere oft vermisst habe. Ich denke vor allem, oder eigentlich hauptsächlich wegen seiner Lehrtätigkeit gerne an meine Zeit an der Filmakademie zurück, so wie dies bestimmt auch alle meine Klassenkameraden von damals tun. Wir waren alle von ihm begeistert.“

Jedes Jahr, wenn wir unsere Ausschneidebogen bei der Aufnahmeprüfung austeilen, denke ich an den gemeinsamen Drehtag am Westbahnhof bei dem wir extra dafür Szenen gefilmt haben. Da habe ich Dich auch beim Drehen erlebt und wie Du in Deiner ruhigen und uneitlen Art die Anweisungen gegeben hast.

Ich habe Dich nicht so gut gekannt, wie einige Deiner Filmkollegen und Freunde, wie zum Beispiel Tone Fink, Herbert Link, Herbert Habersack, Wolfgang Mörth, der Maler Herwig Zens oder der Musiker Bela Koreni und Walter Fink, der lange Zeit Kulturchef des ORF-Vorarlberg war. Mit all ihnen und noch vielen anderen hast Du zusammengearbeitet und über 200 Filme gemacht.

Herbert Habersack hat mir ein Mail geschrieben aus dem ich gerne zitieren möchte:
„Ich hatte das Glück, mit Robert etliche Jahre sehr intensiv zusammen zu arbeiten. Dies geht ja unter den räumlichen Gegebenheiten des Filmeschneidens nur dann gut, wenn man auch menschlich mit einander kann. Robert war ein wunderbarer Kollege und Freund, mit dem auch 20-Stundentage oder 100-Stundenwochen Ereignisse waren, an die ich mich gerne erinnere.
Ich durfte von Robert vieles lernen, was mir später zu persönlichen Leitlinien wurde: Ablehnung von jeglichem Zynismus gegenüber der Arbeit und den KollegInnen. Eine respektvolle Haltung gegenüber dem filmischen Material – es zählt weniger, welchen gestalterischen Weg ich dem Material aufdrängen will, sondern vielmehr, was das Material mir an Möglichkeiten schenkt. Letztlich eine Haltung zur Qualität, die Robert als „Wahrhaftigkeit“ beschrieb.
Wir hatten leider in den letzten Jahren kaum Kontakt – was für ein Versäumnis! Umso größer ist nun mein Bedauern, dass ich bei der Verabschiedung nicht dabei sein kann.
Lieber Michael Hudecek, bitte richte dem Robert, egal ob wortlos oder ausgesprochen, meine ganz herzlichen Grüße aus. Er wird mir fehlen und doch bin ich glücklich, ihn gekannt zu haben.“

Ich hätte Dich auch noch gerne besser kennengelernt. Meine Kollegin Birgit Foerster – auch eine Studentin von Dir – und ich haben noch im vergangenen Juni mit Dir ein Gespräch geführt, in dem Du so manches aus Deiner Geschichte erzählt hast. Wir hätten dieses Gespräch gerne fortgesetzt und Dich gemeinsam mit Hermine Sedevy zu einem Gespräch vor der Kamera gebeten. Sie war Deine erste Schnittlehrerin an der Filmakademie und hat bei Dir den Funken für die Filmmontage überspringen lassen, wie Du es formuliert hast. Ich durfte Frau Professor Sedevy bei der Filmpremiere Deines Films „Jodeln in Indien“ vor einigen Jahren kurz kennenlernen. Leider ist Sie auch heuer im September – also knapp vor Dir – verstorben. Wir waren zu spät.

Deine Liebe zu Musik hat Dich und Astrid immer wieder zu Konzerten von Christina und mir geführt, was uns jedes Mal riesig gefreut hat – und wir haben uns mit Deiner Nichte, Ursula und ihrem Mann angefreundet. Heuer im Sommer konnten wir in Ihrem Haus in Bregenz, dass auch Dein Elternhaus ist, einige wunderbare Tage verbringen und haben dabei auch den Ausblick auf die „Kirche HJ“ entdeckt, den Du in Deiner Langzeitbeobachtung mit dem Titel “Auf der Straße zur Kirche HJ“ in den Mittelpunkt gestellt hast. Anlässlich Deines siebzigsten Geburtstages hat Dir das Vorarlbergmuseum eine Werkschau gewidmet und Du musstest diesen Film fertigstellen. Manchmal sind also Deadlines ganz hilfreich. Obwohl in dem Zusammenhang das Wort „Deadline“ schon sehr seltsam anmutet.

Du hattest noch einiges Material im Kasten – Du hast bereits mehrere Jahre gedreht für einen Doku – wie Du das immer nanntest – über den Bregenzer Maler Erich Smodic. Aber das Finale deines Lebensfilmes wurde vorgezogen – das Ende drastisch gekürzt. Wie bei einem Filmriss – nur das sich dieser Riss nicht mehr kleben lässt. Zumindest nicht mit unseren Klebepressen.

Ich wurde erstmals bei Timecode 19:84 in Deine Timeline eingeschnitten. Für die Fertigstellung des Films „Beethoven im Rucksack“ in dem Du einen Wandertag einer Schulklasse mit Herwig Zens am Beethovenweg bei Mödling begleitest. Ich habe diesen Film seither nicht mehr gesehen und doch entstehen sofort Bilder in mir wenn ich daran denke. Und die Töne des Gewittergrollens, die Du genial mit der Musik von Beethoven verschränkt hast. Das hat mich damals sehr beeindruckt und auch die Liebe, die Du in Deine Filmarbeit gesteckt hast habe ich gespürt. So warst Du auch für mich ein Teil meiner Ausbildung zum Schnittmeister.

Danach haben sich unsere Timelines länger nicht gekreuzt. Erst als ich 2006 begonnen habe an der Filmakademie mitzuarbeiten sind wir uns wieder ausführlicher begegnet.

Als ich dann bei 20:09 die Schnittklasse übernahm, hast Du mich während einer einjährigen Parallelmontage sehr geduldig in die Abläufe eingeführt und mir die bestehende Struktur erklärt, auf der ich dann auch gerne aufgebaut habe. Auch nach Deiner Pensionierung, ein Jahr später, ist unsere Dialogszene nicht abgebrochen und Du hast mich weiterhin bereitwillig beraten, wenn ich mit Fragen zu Dir gekommen bin.

Deine Timeline startet bei Timecode 19:44. Von 19:65 bis 19:69 hast Du an der Filmakademie Regie und Schnitt studiert und von 19:86 bis 20:10 an der Filmakademie erst als Assistent dann als Universitätsprofessor gelehrt. Also fast 25 Jahre ohne Zwischenschnitt.

Ich möchte Dir ganz persönlich, wie auch im Namen der Filmakademie Wien und der Menschen die an diesem Institut arbeiten und im Namen der Universität für Musik und Darstellende Kunst für Deine wertvolle Arbeit und den Einsatz für unser Institut wie auch für die Studierenden von ganzem Herzen danken.

Durch diesen Schnitt bleibt uns leider keine Zeit mehr für einen Schlussroller, indem wir vielleicht noch mehr über Dich erfahren hätten können. Uns ist es noch nicht möglich den Sinn für diesen Schnitt zu erkennen. Dazu muss der Timecode noch lange laufen und wir mehr Überblick über die Schnittsequenzen des Lebens gewinnen.

Robert, was wünscht Du Dir, was ich noch sagen soll?
Du hast nie viel unnötige Worte verloren. Es ist verrückt, dass dieser Film nun ohne Dich weiterläuft und Deine Rolle unbesetzt bleibt. Sie kann ja auch nicht nachbesetzt werden, weil keiner Dich spielen kann. Nur Du könntest Dich selbst spielen – Du selbst sein. Und Du spielst jetzt eben auf dieser anderen, für uns unsichtbaren Bildspur.

Vielleicht hilft uns die Vorstellung, dass unsere geliebten, bereits unsichtbaren Freunde uns von Ihrer Bildspur aus zusehen – bei dem was wir so treiben. Das könnte uns anspornen, unser Leben so zu leben, dass wir damit unsere unsichtbaren Freunde ehren indem wir, ihrem Vorbild folgend auch ein gutes Leben leben.

Wenn wir Dich, Robert, weiterhin im Herzen tragen, dann gehst Du uns auch nicht verloren, dann bist Du weiterhin ein Teil von uns und es gibt eigentlich keinen Grund zur Trauer. Einzig die Ebene, der Layer unserer Beziehung verschiebt sich auf eine andere Spur. Vielleicht auf eine stillere Spur, wo wir den Originalton nur hören, wenn wir ruhig und ganz bei uns sind. Wenn wir uns gelegentlich zurückziehen von den Stürmen des Lebens und der Welt.

In uns gibt es eine Zone, die immer mit Dir verbunden ist und weiterhin mit Dir schmunzeln und lachen kann. Wenn wir uns darauf einstimmen, werden wir feststellen, dass es nur zum Teil – zum materiellen Teil – ein Abschied ist. Unsere Seelen sind und bleiben verbunden.

Danke Robert.