Vaterfilm

mdw-Studierender Albert Meisl zeigt im berührenden Dokumentarfilm Vaterfilm den Umgang mit der schweren Erkrankung eines Elternteils.

Weit über die Grenzen Österreichs hinaus ist der österreichische Film auch für seine ausgezeichneten Dokumentarfilme bekannt. Zu nennen sind hier etwa die Filme von Hubert Sauper (Darwin’s Nightmare, 2004 u.a.) und die eindrücklichen Filme des im vergangenen Jahr verstorbenen Michael Glawogger (Whore’s Glory, 2011 u.a.). Auch an der Filmakademie Wien entstehen wunderbare und beeindruckende Dokumentarfilme, so etwa jüngst Vaterfilm von Albert Meisl.

Filmstill aus "Vaterfilm"

Filmstill aus „Vaterfilm“

„Als Albert Meisl erfährt, dass sein Vater den Sommer wohl nicht überleben wird, beginnt er, die Krankenbesuche im Elternhaus mit einer Kamera zu begleiten. In rauher Videoästhetik dokumentiert er eine von Geduld und Fürsorge geprägte Pflegeroutine. In Form der Beobachtung wirft Vaterfilm dabei die Frage auf, wie dem Leiden eines geliebten Menschen begegnet werden kann. Und ist damit mehr, als sein Titel verspricht: ein Familienfilm nämlich und der bewegende Beleg einer Liebe bis zuletzt“, so die Beschreibung von Albert Meisls Film, der bei der diesjährigen Diagonale in Graz gezeigt wurde.

Der in München geborene Albert Meisl studierte Filmwissenschaft und Germanistik sowie Schauspiel am Mozarteum Salzburg, bevor er an der Filmakademie Wien das Regie- und Drehbuchstudium begann. „Ein Ort, an dem man sich künstlerisch entfalten kann, ein Ort, der für mich für pures, authentisches Erzählen steht, weswegen ich mich dort auch beworben habe“, schildert Albert Meisl. Dass sein Dokumentarfilm Vaterfilm entstanden sei, verdanke er nicht zuletzt Constantin Wulff, der ihm im Rahmen seiner Lehrveranstaltung vermittelt habe, was im Dokumentarfilm künstlerisch möglich sei und in dessen Seminar das Konzept für Vaterfilm entstanden sei. Auch sein mittlerweile emeritierter Regieprofessor Peter Patzak war ihm ein wichtiger Mentor: „Er hat mich immer dabei bestärkt, dass man sich in seinen Filmen dem eigenen Alltag widmen darf, dass das eben nicht unwichtig oder uninteressant ist.“ Und Albert Meisls Film zeigt eindrücklich, in starken Bildern, den Alltag der Pflege eines schwerkranken, dementen Menschen, beinhaltet dabei auch eine Szene, in der die Familie am Tisch sitzt und über das Stopfen von Socken spricht, während der Vater teilnahmslos daneben sitzt. Albert Meisl nennt dies das Mysterium des Alltags: „Es passiert etwas Schlimmes, schwer Fassbares und man redet daneben über Belanglosigkeiten, das ist teilweise richtig bizarr.“

Ein persönlicher Dokumentarfilm

Er habe zu Beginn nicht gewusst, ob er aus dem Material, das er filmen würde, auch einen Film machen werde, erzählt er. Die Kamera hat er zumeist auf ein Stativ platziert und so auch als autonomes Aufzeichnungsgerät agieren lassen. „Mir ging es erst einmal darum, möglichst viel Material aufzunehmen, ohne den Gedanken an eine spätere Verwendung in einem Film.“

So kommt auch der Filmemacher selbst im Film vor, wir sehen ihn am Tisch mit seinen Eltern, bei der Pflege seines Vaters oder im Gespräch mit der Mutter. „Durch die permanente Präsenz der Kamera hat sich der Vorgang des Filmens im besten Sinne entwertet, meine Mutter hat sie im Grunde völlig ignoriert“, sagt er. „Das war ein großes Geschenk, denn sie hat sich nicht verhalten, wie jemand der gefilmt wird, sondern ganz normal wie sonst auch.“ Hätte das Material nicht diese Qualität, dann hätte Albert Meisl es nicht zu einem Film geschnitten.

Sein Ansatz im Dokumentarfilm liegt stark im persönlichen Bereich. Schon sein erster Dokumentarfilm achtundneunzig aus dem Jahr 2005 holte das Private auf die Leinwand, indem er das Älterwerden seiner Großmutter thematisiert. „Im privaten Bereich ist es möglich, sehr authentisches Material zu produzieren, da der Filmemacher eben kein Fremder ist und es keine Barrieren im Umgang mit ihm gibt.“ Denn man nähme Anteil am Leben der Menschen, sei ein Teil davon, die Recherche habe bereits stattgefunden, ohne dass man gewusst habe, dass es eine Recherche sei. „Damit nimmt man sich den Druck, dass vor der Kamera etwas passieren muss.“ Als Dokumentarfilmer interessiert sich Albert Meisl dafür, wie das Leben wirklich ist – er will nicht inszenatorisch eingreifen oder verdichten, wie er es etwa als Drehbuchautor tun würde. So wird etwa in der letzten Szene des Films Vaterfilm der Sarg seines Vaters abgeholt. Die Einstellung dauert ungewöhnlich lange und könne vielleicht langweilig wirken, „aber es ist doch wirklich interessant, welche Zeit manche Vorgänge in der Realität wirklich brauchen.“ Die dokumentarische Arbeit ist für ihn so auch eine wichtige Ergänzung, teilweise auch ein Regulativ der Arbeit an szenischen Filmen und Spielfilmdrehbüchern.

Ein Geschenk

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Filmstill aus „Vaterfilm“

Erst zwei Jahre nach dem Tod seines Vaters, begann Albert Meisl am Film zu arbeiten, es dauerte dann weitere zwei Jahre bis zu seiner Fertigstellung. „Für mich war es ein Geschenk, mich nach dem Tod meines Vaters wieder mit ihm so intensiv zu beschäftigen. Beim Sichten und Schneiden des Materials ärgert man sich, redet mit den Bildern, versucht etwas zu verstehen, was man nicht verstanden hat, fast so, als würde er noch leben.“ Obwohl Albert Meisl es für sich ablehnt, in einem Dokumentarfilm die Haltung des Filmemachers in den Vordergrund zu stellen und es vorzieht, Dinge in einer Offenheit zu zeigen, kann er für diesen Film sagen, dass es für ihn auch ein Film über den Wert des Lebens ist. Immer mehr Menschen würden seiner Ansicht nach die Meinung vertreten, nur das Leben eines Menschen, der gescheite Dinge sagen kann, repräsentativ und erfolgreich ist, sei lebenswert. „Vielleicht war gerade die letzte Lebensphase meines Vaters – an Demenz erkrankt, eine Phase, die zumeist als Horror dargestellt wird – besonders wertvoll für ihn.“ Gerade weil sich für seinen Vater der Druck, funktionieren zu müssen, etwas darstellen zu müssen und nicht einfach nur sein zu dürfen aufgelöst habe. „Ich habe ihn in seinen letzten Lebensmonaten auch als sehr humorvoll und anarchisch kennen gelernt, das hätte ich mir früher nie vorstellen können.“

Ein liebevoller Blick

Der Erfolg des Filmes – er wurde etwa im Juli beim Karlovy Vary International Film Festival in der Tschechischen Republik mit einer Special Jury Mention gewürdigt – ist nicht nur Albert Meisl selbst gedankt, sondern auch seinem Studienkollegen Rafael Haider, der den Film geschnitten und dramaturgisch betreut hat: „Ich konnte ihm ohne jedes Gefühl von Peinlichkeit das ganze Material zeigen und er hat viele unglaublich mutige Entscheidungen getroffen, nicht zuletzt, dass das Material für einen Langfilm trägt. Entscheidungen, zu denen ich alleine nie in der Lage gewesen wäre.“

Entstanden ist daraus ein Film, der liebevoll sowohl auf den Vater als auch Albert Meisls Mutter blickt. Ein Film bei dem der/die ZuschauerIn zurückbleibt mit dem Gedanken, nicht alleine zu sein mit den Umständen, die das Leben bringen kann.

Webtipp:

AFC Interview mit Albert Meisl (von Karin Schiefer)

Text: Doris Piller
Der Artikel ist in der Kunsträume Ausgabe #3-2015 erschienen.