Schöne Bilder reichen nicht

Filmstill "Unmensch" ©Anna Hawliczek

„Ich arbeite und verdiene mein Geld damit“, sagt Anna Hawliczek, „ich mach nichts anderes als Kamera“. Ganz ähnlich fällt die Antwort auch aus, wenn man Serafin Spitzer oder Carolina Steinbrecher nach ihrem aktuellen beruflichen Status fragt. Alle drei sind Anfang 30, studieren an der Filmakademie Wien und sind gleichwohl bereits gefragte Kameraleute.

 

Anna Hawliczek
Anna Hawliczek ©Daniel Prochaska

Steinbrecher und Hawliczek sind Jahrgangskolleginnen und seit 2010 an der mdw, Spitzer zwei Jahre länger. Die mehrtägige Aufnahmeprüfung haben sie als Herausforderung erlebt, doch wer sie geschafft hat, darf sich zu Recht einmal bestätigt fühlen. Vor allem, wenn man so wie Serafin Spitzer zunächst gewisse Selbstzweifel hat: „Ich habe von meiner Mutter, die Malerin ist, viel übers Schauen gelernt und war schon in der Schule immer künstlerisch interessiert. Doch als ich mich an der Filmakademie beworben habe, wusste ich nicht, ob ich wirklich geeignet wäre, Kamera zu machen. Was mich am Film fasziniert hat, war eigentlich etwas, das ,hinter dem Bild‘ liegt: Dass man Dinge transportieren kann, die einen ungeheuren Tiefgang haben, aber oft banal werden, wenn man sie einfach ausspricht. Welche Funktion ich selbst bei alldem erfüllen könnte, war mir noch völlig unbewusst.“

Umso mehr wissen die Studierenden das recht lockere Curriculum zu schätzen. De facto kann man ab dem ersten Wochenende drehen, die Universität bietet einem das Equipment und die Möglichkeit, eigene kleine Arbeiten ohne große Finanzierung zu realisieren. Am wichtigsten allerdings sind die Kontakte, die man während des Studiums knüpft. „Das Netz ist extrem wichtig“, meint Carolina Steinbrecher, „die Leute, die man kennenlernt, die Erfahrungen, die man macht, und eben die Projekte. Filme dreht man ja nicht allein! An der Akademie hat man Gelegenheit, herauszufinden: Wer macht was? Mit wem kann ich und mit wem eher nicht? Daraus entstehen Verbindungen, die im besten Fall bis nach draußen halten.“

Carolina Steinbrecher
Carolina Steinbrecher ©Eni Cani

Anna Hawliczek, die ebenso wie Steinbrecher von der Grafischen kam, begeisterte sich immer schon für österreichisches Kino. „Dass ich die Filme cool fand, war mit ein Grund, weshalb ich mich für die Klasse von Wolfgang Thaler beworben habe“, erklärt die viel beschäftigte Kamerafrau. Inzwischen hat sie mit ihrer Regiekollegin Jasmin Baumgartner eine Produktionsgemeinschaft gegründet und neben Werbefilmen und Musikvideos auch zwei mehrfach ausgezeichnete Kurzfilme in der Regie Baumgartners realisiert (I See a Darkness und Der Unmensch). Darüber hinaus lässt Hawliczek keine Möglichkeit aus, neue Erfahrungen zu machen. Thaler beispielsweise hat sie als zweite Kamerassistentin zu einem abenteuerlichen Dreh in die jordanische Wüste begleitet oder Patrick Vollrath, einen ihrer Kommilitonen, bei einem Projekt als Associate Producer unterstützt. – Hübsches Detail am Rande: Theeb und Alles wird gut, die zwei Filme, bei denen sie die Hände im Spiel hatte, waren 2016 beide für einen Oscar nominiert.

Auch Steinbrecher und Spitzer haben bei Wolfgang Thaler sowie dem bereits emeritierten Christian Berger studiert. „Berger war lichtfanatisch, das hat mich genauso fasziniert wie die Nähe, die Thaler mit seinen Protagonisten aufbaut, weil er die Kamera oft in der Hand hat“, sagt Serafin Spitzer und bringt damit zwei prägende Momente seiner Ausbildung auf den Punkt: „der Zugang zu natürlichem Licht und die Kamera als Werkzeug, das zu einem Teil deines Körpers wird“.

 

Wolkenkratzerin
Wolkenkratzerin ©Carolina Steinbrecher

 

Die professionellen Anforderungen, darin sind alle drei Kamerapersonen sich einig, gehen heute weit über das Bildermachen hinaus. Sie sei meist ab „Stunde Null“ bei einem Projekt dabei, so Anna Hawliczek. „Ich sehe Kamera überhaupt nicht als Einzeldomäne“, bestätigt Carolina Steinbrecher, die gerade ein Auslandssemester an der HFF Konrad Wolf in Potsdam hinter sich hat. „Schöne Bilder reichen nicht. Bei der Vorbereitung bin ich deshalb immer sehr involviert. Ich möchte vorab so viel als möglich über ein Projekt wissen, vor allem über die Wahl der Schauspieler oder der Locations. Das ist meiner Meinung nach das A und O.“

Auf internationalen Festivals machte Steinbrecher zunächst mit dem Kurzfilm Schwitzen von sich reden, ihrer ersten Arbeit mit Iris Blauensteiner; die Regisseurin, die an der Bildenden studierte, hatte sie bei „einer Art Kamera-Casting“ kennengelernt. Seither hat Carolina Steinbrecher mehrere längere Dokumentarfilme gedreht: Rast, neuerlich in Kollaboration mit Blauensteiner, und Die Wolkenkratzerin, ein Langzeitprojekt von Lisa Weber über eine Teenagerin, die selbst bereits Mutter ist.

 

Erdbeerland
Erdbeerland ©Serafin Spitzer

 

Am meisten lerne man von anderen, ist die Kamerafrau überzeugt, die gleichfalls schon zweite Assistenz bei Thaler gemacht hat, unter anderem bei dem Stefan-Zweig-Film Vor der Morgenröte. Und natürlich gibt es Kameraleute, deren Arbeiten man sich anschaut, um sich inspirieren zu lassen, bekräftigt Steinbrecher, nach etwaigen Vorbildern befragt. „Für mich ist aber eher spannend zu sehen, wie man menschlich agiert in dem Beruf. Es geht darum, dass sich jemand vor der Kamera präsentiert und – egal, ob Schauspieler oder Protagonist in einem Dokumentarfilm – sein Innerstes preisgibt. Man hat eine Verantwortung gegenüber dem Menschen, den man abbildet. Das ist etwas, worüber ich viel nachdenke.“

Serafin Spitzer
Serafin Spitzer ©Richard Wilhelmer

Mitunter freilich macht das Filmen nicht nur etwas mit den Menschen vor, sondern auch mit den Menschen hinter der Kamera. „Ich hab zwei Langfilme gebraucht, bis mir klar wurde, dass man nicht einfach von einem Projekt ins nächste geht, sondern da bleibt etwas haften“, bekennt Spitzer. „Das war bei Lampedusa im Winter so und auch bei dem Porträt Gwendolyn – eine unglaublich intensive Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Älterwerden, die mich über das Ende des Drehs hinaus begleitet hat. Genau das finde ich aber das Schöne am Dokumentarfilm: Dass man sich vom Leben verändern lässt, statt ihm wie beim Spielfilm etwas aufzudrücken.“

Serafin Spitzer gehört zu den arriviertesten Kameraleuten der jungen Generation, er wird heuer bereits seinen fünften abendfüllenden Kinofilm drehen. Zudem gehen etliche kleinere Arbeiten auf sein Konto, darunter ein Filmessay zum Umgang mit psychisch Kranken, ein winziges Dokumentarfilmprojekt über Biodiversität am Jauerling, ein Video für Wanda und nicht zuletzt klassisches Bildungsfernsehen, etwa eine Sendung über das Österreichische Staatsarchiv. „Man hat zwei Drehtage für 25 Minuten und muss extrem gut vorbereitet sein. Das ist eine Superübung, denn die Akademie kann einen nicht auf alles vorbereiten. Soll sie auch gar nicht! Ein gewisses Maß an Eigenverantwortung erachte ich – wie überhaupt im Leben – als notwendig.“

 

 

 

Text: Michael Omasta
Der Text ist im mdw-Magazin März/April 2018 erschienen.