Die Möglichkeit Zeit zu manipulieren

Filmstill aus "Wannabe"

Alexander Rauscher, Editor von Wannabe, beschreibt Schnitt als die Beschäftigung mit dem Leben. Jede Aufnahme ist wie ein kleiner Kosmos aus (2D-) Raum und Zeit, der erforscht, interpretiert und in neue Zusammenhänge gesetzt werden will. Und dafür hat man jede Zeit, die man sich nehmen möchte.

Wannabe, der Bachelorfilm von Regie-Student Jannis Lenz, ist ein Cross-Media-Projekt. Der Kurzfilm begleitet die 17-jährige Coco, die mit ihrem Youtube-Kanal „Coco Channel“ groß rauskommen will. Hier sieht man ihr „wahres“ Leben, inklusive Härten und Rückschlägen. Parallel dazu wird über die Verbreitung von Web-Videos über Youtube und Facebook die Kunstfigur „Coco“ geschaffen, ein beliebter, erfolgreicher und selbstbewusster Teenager, wie sie es im wirklichen Leben gerne wäre.

Alexander Rauscher – Schnitt & Soundesign

Du hast schon mehrere Filme gemeinsam mit Jannis Lenz realisiert. Wie kann man sich eure Zusammenarbeit vorstellen?
AlexanderRauscher

Alexander Rauscher (Foto: privat)

AR: Jannis und ich beginnen meist kurz nach den ersten Drehbuchfassungen, gemeinsam das Schnittkonzept zu erarbeiten. Da Jannis für gewöhnlich bereits eine gute Vorstellung vom visuellen Stil des Films hat, liegt ein großes Augenmerk der anfänglichen Zusammenarbeit auf dem gegenseitigen Verständnis für den jeweiligen Zugang zum Thema und der erzählerischen filmischen Sprache. Neben der direkten thematischen und technischen Auseinandersetzung mit dem Projekt gehören auch allgemeiner Meinungsaustausch und philosophische Gespräche zu unserer Vorbereitung. Vor dem Schnitt versuche ich aber, so gut es geht, meine Nase aus der Sache rauszuhalten, da sind vor allem Regie, Kamera und Produktion am Werk. Ich versuche auch, so selten wie möglich am Set zu sein, weil ich so die Möglichkeit habe, als „erster Zuschauer“ das Material nur als zweidimensionale Aufnahme zu erfahren.

Nach einer ersten Phase des Kennenlernens zwischen mir und dem Material sitzen Jannis und ich die meiste Zeit gemeinsam im Schnittraum. Szenen, die eine sehr intuitive Herangehensweise im Schnitt erfordern, bereite ich aber gern alleine vor, weil mir so das Ausprobieren und Experimentieren leichter fällt. Ansonsten arbeiten wir demokratisch, jede Entscheidung wird gemeinsam gefällt, wobei bei einer Pattsituation die Regie das letzte Wort hat. Dass Jannis auch Schnitterfahrung hat, hilft enorm bei der Kommunikation, trotzdem bleibt die Aufgabenteilung und damit das gegenseitige Vertrauen von Regie und Schnitt klar bestehen.

Wannabe ist ja nicht nur Kurzfilm, sondern auch ein Cross-Media-Projekt. Worin lagen die Unterschiede in der Schnitt-Arbeit für den Film einerseits und die begleitenden Youtube-Videos andererseits?

AR: Eben weil sich die Schnitt-Stile des Films und der Youtube-Videos grundlegend unterscheiden sollten, waren wir uns früh einig, dass die beiden Teile auch von zwei Personen geschnitten werden sollten (die Youtube-Videos hat sich Matthias Writze zur Cutter-Brust genommen). Die Videos für den Coco-Channel sollten nicht nach professioneller Filmarbeit aussehen, sondern nach dem Werk eines Amateurs, der zwar im Schnitt sein Bestes geben will, jedoch sein Hauptaugenmerk (unbewusst) nicht auf die erzählerische Funktion dieser Technik legt. Das erforderte einiges an Recherche, vor allem auf vielen Youtube-Channels.

Wannabe sollte klar ein Film über diese „neuen Berufsamateure“ sein. Mit seinem Tableau-artigen Szenenaufbau erzählt er zwar durch Coco die Geschichte vieler junger, rast- und orientierungsloser Menschen, aber er sollte sich nicht an diesen Aspekt ihrer Persönlichkeit richten. Im Gegensatz zu den attraktionsartigen und kurzlebigen Youtube-Videos sollte der Film eine ruhige, äußere Haltung einnehmen, die mehr reflektierend als unterhaltend zu verstehen ist. Dennoch wollten wir den Film auch attraktiv und authentisch erzählen, weshalb wir im Schnitt auch mit jungen Elementen wie elektronischer Musik und blinkenden Titelschriften arbeiteten. Dieser Spagat zwischen Coolness und Reife war eine der interessantesten Herausforderungen dieses Projekts.

Schnitt bedeutet immer auch Rhythmus. Wie würdest du den Rhythmus von Wannabe beschreiben?

WANNABE-artWork-webAR: Der Rhythmus eines Filmes ähnelt dem Rhythmus einer geschriebenen Geschichte. Jede Einstellung ist ein Satz, jeder Schnitt ein Punkt oder ein anderes Satzzeichen. Ich habe in meiner Schulzeit Texte von Ovid gelesen, in denen ich die Kunst der literarischen Überrumpelung (wie ich sie nenne) kennengelernt habe. Ein Satz wird so lange poetisch und kompliziert ausgebreitet, bis man beim Lesen schon fast den Faden verloren hat. Darauf folgt ein simpler Schluss in wenigen Worten, der durch eine im Kontrast gefühlte Einfältigkeit vor den Kopf stößt, was einen die eigene Interpretation des vorher Gelesenen hinterfragen lässt. Diese und viele andere literarische Werkzeuge lassen sich wunderbar auf den Schnitt übertragen. Wannabe sollte zwar eine Geschichte über ein junges Mädchen sein, doch erzählt werden sollte sie von einem älteren Betrachter. Der Rhythmus des Films lässt deshalb Zeit zum Hinschauen und Nachdenken. Er soll aber auch stellenweise „überrumpeln“, auch um den labilen inneren Zustand der Hauptfigur spürbar zu machen.

Du warst neben dem Schnitt auch für das Sounddesign verantwortlich. Ist es von Vorteil, wenn beides aus einer Hand kommt?

Dadurch, dass ich mich durch den Schnittprozess bereits mehrere Monate intensiv mit dem Film beschäftigt hatte, fiel mir die Arbeit am Sounddesign eher leicht. Hier konnte ich die Vorstellungen, die ich schon beim Schneiden hatte, auf der Tonebene weiter umsetzen. Natürlich fällt bei dieser Kombination auch der unangenehme Aspekt einer nachträglichen Schnittänderung weg – hier hat man völlig freie Hand, und der Picture Lock ist nicht so sehr in Stein gemeißelt wie gewöhnlich. Die Kehrseite der Medaille ist der fehlende „frische Blick“ (bzw. das „frische Ohr“), doch da und bei vielen technischen Fragen hatte ich sehr wertvolle Unterstützung von Rudi Pototschnig, der auch maßgeblich am Sounddesign von Wannabe beteiligt war.

Alexander Rauscher (geb. 1991 in Grieskirchen) absolvierte 2015 sein Bachelorstudium in Schnitt an der Filmakademie Wien, zur Zeit studiert er Schnitt im Master. Seit 2013 ist er als Kameramann, Partitur- und Regieassistent an der Wiener Staatsoper tätig. Als Editor zeichnet er für zahlreiche Kurzfilme, Musikvideos und Dokumentarfilme verantwortlich (u.a. Birthday Present, Regie: Guy Lichtenstein; Die Vernehmung, Regie: Jasmina Eleta; Schattenboxer, Regie: Jannis Lenz). Für den Kurzfilm Daheim und Dazwischen (Regie: Jannis Lenz) wurde er beim Early Bird Film Festival mit dem Preis „Bester Schnitt“ ausgezeichnet. Alexander Rauscher arbeitet als selbständiger Editor, Kameramann und Fotograf in Wien.

Youtube Kanal „Coco Channel“